COVID-19: Wie kann die Ernährung das Immunsystem beeinflussen?

Prof. Dr. Krasimira Aleksandrova: Ein gut funktionierendes Immunsystem ist im Kampf gegen COVID-19 von entscheidender Bedeutung. (c) David Ausserhofer/DIfE

Prof. Dr. Krasimira Aleksandrova: Ein gut funktionierendes Immunsystem ist im Kampf gegen COVID-19 von entscheidender Bedeutung. (c) David Ausserhofer/DIfE

Während der aktuellen Pandemie kursieren viele Gerüchte zur Ernährung, Immunabwehr und COVID-19. Was davon stimmt – und was nicht, erläutert im Interview Prof. Dr. Krasimira Aleksandrova, stellvertretende Leiterin der Abteilung Epidemiologische Methoden und Ursachenforschung am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS.

Frau Aleksandrova, beeinflusst die Ernährung das Immunsystem?


Es besteht kein Zweifel, dass unsere Ernährung zusammen mit anderen Lebensstilfaktoren eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit spielt und unser Immunsystem enorm beeinflusst.


Wie genau funktioniert das?


Über das, was wir essen und trinken, können wir die Funktionen der Immunzellen unterstützen und wirksame Reaktionen gegen Krankheitserreger fördern. Das Immunsystem benötigt Energie und Nährstoffe aus der Nahrung. Viele Nährstoffe spielen eine entscheidende Rolle für die Entwicklung und Aufrechterhaltung des Immunsystems. Sowohl eine unzureichende als auch eine übermäßige Aufnahme bestimmter Nährstoffe kann dazu führen, dass das Immunsystem nur noch eingeschränkt auf Infektionen reagiert.


Worauf sollte man also achten?


Wir sollten uns vor allem ausgewogen ernähren. So können wir auch möglicherweise schädliche chronische Entzündungszustände vorbeugen und reduzieren. Dabei ist es nicht wichtig, nur bestimmte Lebensmittel aufzunehmen. Vielmehr sollte insgesamt eine gesunde Ernährungsweise eingehalten werden, die auf frischem Obst und Gemüse, fermentierten Lebensmitteln (z. B. Joghurt), Nüssen, Samen und Vollkorngetreide basiert.


Gibt es trotzdem Lebensmittel, die unbedingt auf den Speiseplan gehören?


Aktuelle Studien haben neue Erkenntnisse zur Mikrobiota und Darmgesundheit und ihrer Rolle für das Immungleichgewicht gebracht. Es wird vermutet, dass rund 70 Prozent unseres Immunsystems von unserem Darm aus reguliert wird. „Gute“ Darmbakterien können günstig beeinflusst werden, wenn wir viel ballaststoffreiche Lebensmittel wie Leinsamen oder Vollkornprodukte und präbiotische Lebensmittel wie Joghurt – reich an guten Darmbakterien wie Lactobacillus und Bifidobakterien – essen.


Auf was sollte man verzichten?


Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass eine übermäßige Zuckeraufnahme die Fähigkeit von Immunzellen verringert, Krankheitserreger zu zerstören und zugleich chronische Entzündungen fördern kann. Stark verarbeitete Lebensmittel sollten gemieden werden. Denn eine Ernährungsweise mit reichlich Fett, Zucker und Salz sowie vielen industriellen Inhaltsstoffen wie modifizierten Stärken und Farbzusätzen, wird mit einem höheren Grad an Entzündungen und einer gestörten Immunität in Verbindung gebracht.


Worauf sollte man noch achten, um das Immunsystem zu stärken?


Neben einer gesunden Ernährungsweise unterstützt natürlich auch körperliche Aktivität, Stressabbau und ausreichend Schlaf unsere Immunfunktion. Generell eignet sich zur Unterstützung eines gesunden Immunsystems, wie zuvor beschrieben, eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung, die reich an Obst und Gemüse ist, kombiniert mit Bewegung im Freien. Forschungsergebnisse weisen zudem für ein vermindertes Entzündungsniveau und einen ausgeglichenen Immunzustand auf die Bedeutung einer pflanzlichen, bevorzugt mediterranen Ernährung mit Vollkornprodukten, Gemüse, Obst, Nüssen und Olivenöl hin. Pflanzliche Lebensmittel enthalten neben wertvollen Mikronährstoffen auch andere wichtige Verbindungen wie Polyphenole, die ebenfalls mit niedrigeren Entzündungswerten assoziiert sind. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt übrigens, als Basis für gesundheitsförderndes Essen und Trinken, eine vollwertige Ernährung mit überwiegend pflanzlichen Lebensmitteln.

 

Was gilt es im Kontext der COVID-19-Pandemie zu beachten?


Ein gut funktionierendes Immunsystem ist im Kampf gegen COVID-19 von entscheidender Bedeutung. Unsere Ernährung ist einer der Schlüssel, die jeder von uns besitzt, um eine ausgewogene Immungesundheit zu bewahren. Entsprechende Empfehlungen sollten jedoch nicht durch vages Halbwissen, sondern auf Grundlage einer vorsichtigen Interpretation der wissenschaftlichen Datenlage erfolgen.


Gibt es auch hier Aspekte, die besonders wichtig sind?


Einige Erkenntnisse aus Tier- und Humanstudien weisen darauf hin, dass eine Ernährung reich an antioxidativen Nährstoffen und spezifischen Mineralien besonders vorteilhaft für das Immunsystem ist. So wurde gezeigt, dass verschiedene Mikronährstoffe die Immungesundheit unterstützen, darunter die Vitamine A, D, C, E, B6, B12 und Folsäure sowie die Mineralstoffe Kupfer, Eisen, Zink und Selen. Davon haben Vitamin C, Vitamin D und Zink die bedeutendsten und überzeugendsten Eigenschaften, das Immunsystem im Gleichgewicht zu halten. Zudem sind sie für viele bekannte immunophysiologische Prozesse essentiell. In vielen Fällen – besonders für jüngere Menschen – ist die Einnahme von zusätzlichen Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen jedoch überflüssig. Denn wer gesund ist, sich ausgewogen ernährt und regelmäßig Zeit an der frischen Luft verbringt, versorgt seinen Körper mit allen lebensnotwendigen Nährstoffen.


Besonders Vitamin D taucht immer wieder in der Diskussion auf. Gerade hat zum Beispiel das Bundesinstitut für Risikobewertung eine neue Stellungnahme unter dem Titel „Vitamin D, das Immunsystem und COVID-19“ veröffentlicht. Was sagen Sie dazu?


 Vitamin D hat bekanntermaßen sowohl entzündungshemmende als auch immunregulatorische Eigenschaften und ist entscheidend für die Aktivierung der Abwehrkräfte des Immunsystems. Es ist bekannt, dass es die Funktion von Immunzellen, einschließlich T-Zellen und Makrophagen, verbessert, die die Körper vor Krankheitserregern schützen. Tatsächlich haben viele epidemiologische Studien, einschließlich unserer eigenen Arbeit, gezeigt, dass niedrige Vitamin D-Spiegel mit einer erhöhten Anfälligkeit für Infektionen, Krankheiten und immunbedingte Störungen in Verbindung gebracht wurden.


Konnte auch bei COVID-19 ein Zusammenhang gezeigt werden?


Es gibt aktuelle Studien, die darauf hinweisen, dass Patienten mit COVID-19, die ausreichende Vitamin D-Werte hatten, ein geringeres Risiko für einen schweren Verlauf hatten. Es existieren jedoch immer noch viele Wissenslücken. So wurde zum Beispiel der Nachweis einer Ursache-Wirkungs-Beziehung zur Vitamin-D-Intervention bisher nicht erbracht. Um diesen Zusammenhang zu identifizieren, sind große, multizentrische, placebo-kontrollierte klinische Studien bei Patienten mit unterschiedlichem Schweregrad der COVID-19-Infektion mit Vitamin D erforderlich. Trotz seiner schützenden Wirkung sollten die Menschen wissen, dass eine übermäßige Vitamin-D-Supplementierung zu Hypervitaminose und Toxizität führen kann. Das sollte man unbedingt vermeiden.


Im Internet tauchen derzeit zahlreiche Geschichten über wundersame Lebensmittel, Getränke und Nahrungsergänzungsmittel auf, die COVID-19 angeblich verhindern und heilen können.


Abgesehen von den bereits angesprochenen Punkten gibt es bis heute keine wissenschaftlich erprobten und zugelassenen Kräuterprodukte oder Vitaminpillen, die das Coronavirus abwehren oder es gar bekämpfen könnten. Viele dieser „Mittelchen“ schaden der Gesundheit sogar. Außerdem verleiten sie dazu, dass man sich geschützt fühlt und nachlässig wird, wenn es um gute Hygienepraktiken und Abstandregelungen geht.


Es gibt also bei COVID-19 kein Wundermittel für das Immunsystem?


Es gibt bereits erste Studien, die untersuchen, ob und wie Mikronährstoffe das Risiko einer Sars-CoV-2-Infektion senken könnten. Die Forschung steht hier aber noch ganz am Anfang und die Daten sind mit äußerster Vorsicht zu interpretieren. Bisher gibt es keine Hinweise darauf, dass Ernährung allein dazu beitragen kann, vor den Auswirkungen einer Sars-CoV-2-Infektion zu schützen oder diese auszubremsen.  Eine gesunde Ernährung ist von grundlegender Bedeutung, damit unser Körper gut vorbereitet ist, um die Virusinfektion abzuwehren. Es bleibt jedoch wichtig, dass Menschen geimpft werden und die hygienischen und epidemiologischen Vorschriften einhalten. Trotzdem sollten wir Empfehlungen für eine gesunde Ernährung und einen gesunden Lebensstil ernst nehmen und umsetzen, damit unser Immunsystem vor, während und nach einer Infektion mit dem Coronavirus nicht aus dem Ruder gerät.


Vielen Dank für das Gespräch!