Daten zum Schutz der Gesundheit nutzen: Geht das in Deutschland?

Podiumsdiskussion zu Arzneimittelsicherheit am 25. Mai 2016 in der Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft

Versichertendaten sind für die Erforschung von Arzneimittelrisiken nach Marktzulassung unerlässlich. Dabei hat die Wissenschaft in Deutschland mit einer schwierigen Gesetzeslage zu kämpfen. So erlaubt es das Sozialgesetzbuch nur für konkrete Fragestellungen, diese Daten langfristig zu speichern. Hierdurch ist es nicht möglich, Nebenwirkungen von Medikamenten aufzuspüren, die erst nach vielen Jahren auftreten. Zudem können Verdachtsfälle von schweren Nebenwirkungen nicht zeitnah überprüft werden. Um auf diese Problematik in der Arzneimittelrisikoforschung in Deutschland hinzuweisen, veranstaltete das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS eine Podiumsdiskussion mit Vertreterinnen und Vertretern von Patientenverbänden und Verbraucherschutz, der Wissenschaft sowie der Politik. Sie fand am 25. Mai in der Geschäftsstelle der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin statt.

Bertram Raum, Vertreter der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, stellte gleich zu Beginn der Veranstaltung eine der entscheidenden Fragen: „Ist es ethisch vertretbar, medizinische Daten zu löschen?“ Die rechtliche Lage ist eindeutig: Nach Paragraph 75 Sozialgesetzbuch Zehn (§ 75 SGB X) dürfen Sozialdaten nur für ein bestimmtes Forschungsvorhaben und dessen Dauer übermittelt werden. Dieser Paragraph entstand zur Zeit nach der Volkszählung, als der Datenschutz aus einer anderen Perspektive zur Diskussion stand. Raum erklärte: „Ich bin nicht nur Jurist, sondern auch Mensch. Alle Menschen profitieren letztlich von wichtiger Forschung wie die zu Arzneimittelrisiken. Auch das Bundesverfassungsgericht hat gerade im Volkszählungsurteil, das grundlegend für den Datenschutz in Deutschland war, die Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen hervorgehoben.“

Die derzeit restriktive Gesetzgebung betrifft in besonderem Maße die Fortführung der  pharmakoepidemiologischen Forschungsdatenbank (GePaRD) am BIPS. Sie enthält Daten zu Arzneimittelverschreibungen, ambulanten Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten von mehr als 20 Millionen Versicherten aus vier gesetzlichen Krankenkassen. Damit bietet sie ein für Deutschland einmaliges Potenzial für die Arzneimittelrisikoforschung. „Sie bleibt der Forschung jedoch nur dauerhaft erhalten, wenn § 75 zeitgemäß angepasst und eine längerfristige Forschungsperspektive ermöglicht wird“, erklärte BIPS-Direktorin Prof. Dr. Iris Pigeot. Dabei betonte sie: „Personenbezogene Daten müssen besonders geschützt werden und bei deren Nutzung müssen höchste Sicherheitsstandards gelten. Aber der Datenschutz darf nicht die Erforschung langfristiger Nebenwirkungen von Medikamenten, wie zum Beispiel Krebserkrankungen, verhindern.“ Dr. Ilona Köster-Steinebach vom Verbraucherzentrale Bundesverband bestätigte dies: „Der Datenschutz ist sehr wichtig, aber er darf nicht über dem Schutz der Gesundheit stehen. Es besteht auch das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“

Auch Dr. Johannes Bruns von der Deutschen Krebsgesellschaft sprach sich deutlich für die Nutzung medizinischer Daten aus: „Die meisten Krebspatientinnen und -patienten geben ihre Gesundheitsdaten für die Forschung frei. Dies ist wichtig, denn es geht ja darum, die Komplexität von Erkrankungen abbildbar zu machen und Muster zu erkennen.“

Werner Kubitza von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe bestätigte, dass die medizinische Forschung eine sichere Basis brauche. Dafür seien Gesundheitsdaten unerlässlich. Er betonte aber auch: „Wissenschaftliche Studien müssen transparent kommuniziert und offengelegt werden. Dies ist eine moralische Verpflichtung.“

Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger, ehemaliger Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte und Moderator der Veranstaltung, erklärte abschließend: „Ziel muss es sein, den Schutz der Daten auf ein höheres und intelligenteres Niveau zu heben.“