Intrinsische Strahlenempfindlichkeit: Identifikation biologischer und epidemiologischer Langzeitfolgen; Teilprojekt C mit der Fall-Kontrollstudie „Krebserkrankungen im Kindesalter und molekulare Epidemiologie“

Beschreibung

Strahlen- und Chemotherapien von Primärneoplasien sind die einzig etablierten Risikofaktoren für Folgeneoplasien nach Krebserkrankungen im Kindesalter. Darüber hinaus weisen einige Beobachtungsstudien auf eine Assoziation zwischen ionisierender Strahlung und Krebsrisiko hin, vor allem wenn die Strahlenexposition im Kindesalter stattgefunden hat. Da die Ursachen für die Entstehung und die Entwicklung von Krebserkrankungen im Kindesalter heute noch weitgehend unklar sind und zudem vermutet wird, dass bei Kindern und jungen Erwachsenen genetische Faktoren eine tragende Rolle bei der Pathogenese spielen, war das Hauptziel der Fall-Kontroll-Studie KiKme (Studienleitung: Manuela Marron) die genomweite Identifizierung von Genen insbesondere im Bereich der Strahlenantwort bei ehemaligen Kinderkrebspatient*innen und krebsfreien Kontrollen. Die knapp 600 Studienteilnehmer*innen der Studie wurden in drei Proband*innengruppen (Phänotypen) unterschieden. Neben der Gruppe der Kontrollen ohne Krebserkrankungen wird die Gruppe der ehemaligen Kinderkrebspatient*innen in Proband*innen mit nur einer Primärneoplasie sowie in Proband*innen mit weiteren unabhängigen Folgeneoplasien unterteilt. Zur Identifikation von strahlenassoziierten genetischen Unterschieden zwischen Überlebenden von Kinderkrebserkrankungen mit und ohne Folgeneoplasien sowie krebsfreien Kontrollen wurden Bestrahlungsexperimente mit hohen und niedrigen Strahlendosen an deren Fibroblasten durchgeführt. Ergänzt wurden die Ergebnisse der Bestrahlungsexperimente durch umfangreiche Fragebogeninformationen zu sozioökonomischem Status, Lebensstil und Gesundheitsstatus der Teilnehmenden inklusive erhaltener medizinischer Diagnostik und Therapie. Um auch das Auftreten von Krebserkrankungen im familiären Umfeld untersuchen und das damit einhergehende familiär bedingte Hintergrundrisiko für etwaige Krebserkrankungen epidemiologisch quantifizieren zu können, wurden darüber hinaus schwerwiegende Erkrankungen in der Familie abgefragt.

Im Rahmen der KiKme-Studie konnte kein erhöhtes Risiko von Kinderkrebs durch Krebsfälle in der Familie oder in familiären Subgruppen festgestellt werden. Jedoch zeigte sich, dass Krebsfälle in der weiblichen Verwandtschaft mit einem erhöhten Risiko für die Entstehung von Folgeneoplasien einhergeht. Die Ergebnisse der Fragebogenauswertungen zeigten darüber hinaus, dass die Studienteilnehmer*innen valide Informationen zu ihren erhaltenen Krebstherapien geben konnten. Mit Hilfe der gesammelten Krebstherapiedaten konnte gezeigt werden, dass der Erhalt von Chemotherapien mit einem erhöhten Risiko für gesundheitliche Spätfolgen (Schilddrüsenerkrankungen und Erkrankungen des Fettstoffwechsels) assoziiert war. Damit einhergehend nahmen Kinderkrebsüberlebende mehr Medikamente ein als gesunde Kontrollen. Eine durchlebte Kinderkrebserkrankung zeigte zudem Auswirkungen auf den Lebensstil: Während die Überlebenden insgesamt einen gesünderen Lebensstil aufwiesen als die gesunden Kontrollen, scheinen sie aber weniger körperlich aktiv zu sein als ebendiese, was jedoch durch ihre insgesamt höhere Krankheitslast erklärt werden könnte.

Unsere bisherigen Ergebnisse der Strahlenexperimente weisen darauf hin, dass die Hautzellen der ehemaligen Kinderkrebspatient*innen mit einer Folgeneoplasie unzureichend und fehlerhafter auf erbgutschädigende Krebstherapien reagieren, die in unseren Laborexperimenten nachgeahmt wurden. Dies könnte die Entstehung eines Zweittumors bei den betroffenen Patient*innen nach einer effektiven Tumortherapie fördern. Da die Hautzellen der Teilnehmer*innen aber erst rückblickend nach dem Auftreten und der Behandlung des Zweittumors gewonnen wurden, können wir aktuell aber einen Einfluss einer zweiten Krebstherapie auf diese unterschiedlichen Reaktionen noch nicht ausschließen. Derzeit sind daher weiterführende Studien in Planung, die unsere Ergebnisse bestätigen aber auch neue Erkenntnisse und klinische Indikatoren liefern sollen, um zukünftigen Kinderkrebspatient*innen die bestmögliche Therapie, medizinische Versorgung und Lebensqualität zu bieten.

Die KiKme-Studie wurde im Rahmen des ISIBELA Verbundes (http://www.unimedizin-mainz.de/isibela/startseite/willkommen.html) in Bremen (Teilprojekt C) durchgeführt. Die enge Zusammenarbeit von vier Partnern des ISIBELA Verbundes aus unterschiedlichen Fachbereichen in Deutschland ermöglicht die Durchführung von verschiedenen biologischen und epidemiologischen Strahlenforschungsprojekten zum Risiko von Kinderkrebserkrankungen sowie zu Langzeitfolgen von Krebstherapien. Der Forschungsverbund ISIBELA wurde im Zuge des Konzeptes „Grundlagenforschung Energie 2020+“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gefördert.

Förderzeitraum

Beginn:   September 2015
Ende:   August 2021

Förderer

  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Kontaktperson

Dr. phil. Manuela Marron

Ausgewählte Veröffentlichungen zum Projekt

    Zeitschriftenartikel mit peer-review

  • Brackmann K, Foraita R, Schwarz H, Poplawski A, Hankeln T, Galetzka D, Zahnreich S, Spix C, Blettner M, Schmidberger H, Marron M. Self-administered questionnaire assessing childhood cancer treatments and associated risks for adverse health outcomes - The KiKme study. Frontiers in Oncology. 2023;13:1150629.
    https://doi.org/10.3389/fonc.2023.1150629
  • Grandt CL, Brackmann K, Foraita R, Schwarz H, Hummel-Bartenschlager W, Hankeln T, Kraemer C, Zahnreich S, Drees P, Mirsch J, Spix C, Blettner M, Schmidberger H, Binder H, Hess M, Galetzka D, Marini F, Poplawski A, Marron M. Gene expression variability in long-term survivors of childhood cancer and cancer-free controls in response to ionizing irradiation. Molecular Medicine. 2023;29:41.
    https://doi.org/10.1186/s10020-023-00629-2
  • Grandt CL, Brackmann K, Poplawski A, Schwarz H, Marini F, Hankeln T, Galetzka D, Zahnreich S, Mirsch J, Spix C, Blettner M, Schmidberger H, Marron M. Identification of lncRNAs involved in response to ionizing radiation in fibroblasts of long-term survivors of childhood cancer and cancer-free controls. Frontiers in Oncology. 2023;13:1158176.
    https://dx.doi.org/10.3389/fonc.2023.1158176
  • Brackmann K, Foraita R, Schwarz H, Galetzka D, Zahnreich S, Hankeln T, Löbrich M, Poplawski A, Grabow D, Blettner M, Schmidberger H, Marron M. Late health effects and changes in lifestyle factors after cancer in childhood with and without subsequent second primary cancers - The KiKme case-control study. Frontiers in Oncology. 2022;12:1037276.
    https://doi.org/10.3389/fonc.2022.1037276
  • Galetzka D, Böck J, Wagner L, Dittrich M, Sinizyn O, Ludwig M, Rossmann H, Spix C, Radsak M, Scholz-Kreisel P, Mirsch J, Linke M, Brenner W, Marron M, Poplawski A, Haaf T, Schmidberger H, Prawitt D. Hypermethylation of RAD9A intron 2 in childhood cancer patients, leukemia and tumor cell lines suggest a role for oncogenic transformation. EXCLI Journal. 2022;21:117-143.
    https://doi.org/10.17179/excli2021-4482
  • Grandt CL, Brackmann K, Poplawski A, Schwarz H, Hummel-Bartenschlager W, Hankeln T, Kraemer C, Marini F, Zahnreich S, Schmitt I, Drees P, Mirsch J, Grabow D, Schmidberger H, Binder H, Hess M, Galetzka D, Marron M. Radiation-response in primary fibroblasts of long-term survivors of childhood cancer with and without second primary neoplasms: The KiKme study. Molecular Medicine. 2022;28:105.
    https://doi.org/10.1186/s10020-022-00520-6
  • Marron M, Brackmann K, Schwarz H, Hummel-Bartenschlager W, Zahnreich S, Galetzka D, Schmitt I, Grad C, Drees P, Hopf J, Mirsch J, Scholz-Kreisel P, Kaatsch P, Poplawski A, Hess M, Binder H, Hankeln T, Blettner M, Schmidberger H. Identification of genetic predispositions related to ionizing radiation in primary human skin fibroblasts from survivors of childhood and second primary cancer as well as cancer-free controls: Protocol for the nested case-control study KiKme. JMIR Research Protocols. 2021;10(11):e32395.
    https://doi.org/10.2196/32395
  • Brackmann K, Poplawski A, Grandt CL, Schwarz H, Hankeln T, Rapp S, Zahnreich S, Galetzka D, Schmitt I, Grad C, Eckhard L, Mirsch J, Blettner M, Scholz-Kreisel P, Hess M, Binder H, Schmidberger H, Marron M. Comparison of time and dose dependent gene expression and affected pathways in primary human fibroblasts after exposure to ionizing radiation. Molecular Medicine. 2020;26:85.
    https://doi.org/10.1186/s10020-020-00203-0
  • Scholz-Kreisel P, Kaatsch P, Spix C, Schmidberger H, Marron M, Grabow D, Becker C, Blettner M. Second malignancies following childhood cancer treatment in Germany from 1980 to 2014: A registry-based analysis. Deutsches Ärzteblatt International. 2018;115(23):385-392.
    https://doi.org/10.3238/arztebl.2018.0385