Anti-Baby-Pille: Neue Präparate haben höheres Thrombose-Risiko, werden aber häufig verschrieben

Die Anti-Baby-Pille erhöht das Risiko, eine Thrombose zu erleiden. Das ist mittlerweile bekannt. Doch wie hoch das Risiko liegt, unterscheidet sich stark zwischen den verschiedenen Präparaten. Eine Studie des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS zeigt jetzt für neue Anti-Baby-Pillen die Risiken auf und belegt, dass viele junge Frauen Pillen mit unnötig hohem Thrombose-Risiko verschrieben bekommen.

Prof. Dr. Ulrike Haug

Haug: "Das sind Krankheitsfälle mit zum Teil sehr schwerem Verlauf, die sich durch ein anderes Verschreibungsverhalten verhindern ließen.“

In ihrer Studie verglichen die Wissenschaftler:innen das Risiko für sogenannte venöse Thromboembolien zwischen neun kombinierten oralen Kontrazeptiva. Da diese in Deutschland bei Mädchen und jungen Frauen erstattungsfähig sind, können Krankenkassendaten verwendet werden, um das Thrombose-Risiko der unterschiedlichen Präparate in dieser Altersgruppe abzuschätzen. Insgesamt umfasste die Studienpopulation 677.331 Mädchen und junge Frauen mit einer Neuverordnung zwischen 2005 und 2017. Das Durchschnittsalter betrug 16 Jahre.

Die Studie bestätigte, dass das Thrombose-Risiko bei vielen der neueren Präparate doppelt so hoch ist wie bei älteren Präparaten, die den Wirkstoff Levonorgestrel als Gestagen-Komponente enthalten. Die Studie hat dies auch für Präparate mit den Gestagen-Komponenten Dienogest und Chlormadion gezeigt, deren Thrombose-Risiko bisher noch wenig untersucht war.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat bereits mit sogenannten Rote-Hand-Briefen auf die Unterschiede im Thrombose-Risiko zwischen den Präparaten hingewiesen und die Verordnung von Präparaten mit dem niedrigsten Thrombose-Risiko angeraten. In der Studie zeigte sich nun, dass der Anteil der Neuverordnungen von Präparaten mit dem niedrigsten Risiko seit dem Zeitraum 2005-2007 zwar angestiegen ist, aber immer noch sehr niedrig liegt. So betrug der Anteil in dem Zeitraum 2015-2017 nur 54 Prozent, wohingegen 33 Prozent der Verordnungen auf Präparate mit dem höchsten Thrombose-Risiko entfielen.

„Unsere Studie bestätigt, dass die Kombination Levonorgestrel mit niedrigem Ethinylestradiol-Gehalt das geringste Thrombose-Risiko hat“, erklärt Dr. Tania Schink, Wissenschaftlerin am BIPS und Erstautorin der Studie. Sie fügt an: „Außerdem konnten wir zeigen, dass das Thrombose-Risiko für die neuen Pillen-Varianten auf Basis von Chlormadinon doppelt so hoch ist und damit im gleichen Bereich liegt wie für Desogestrel und Drospirenon. Wer sein Thrombose-Risiko durch die Pille möglichst gering halten will, sollte also ein Präparat auf Basis von Levonorgestrel nutzen.“

Als Datengrundlage der Studie diente die pharmakoepidemiologische Forschungsdatenbank GePaRD. Sie enthält Abrechnungsdaten von vier gesetzlichen Krankenversicherungen in Deutschland und umfasst Informationen von derzeit ca. 25 Millionen Personen. Neben demografischen Angaben enthält GePaRD Informationen zu Arzneimittelverordnungen sowie zu ambulanten und stationären Leistungen und Diagnosen. Pro Datenjahr stehen Informationen zu ungefähr 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung zur Verfügung und es sind alle geografischen Regionen Deutschlands vertreten.

„Thrombosen sind insbesondere bei jungen Frauen zwar sehr seltene Ereignisse. Dennoch ist – basierend auf Schätzungen der europäischen Arzneimittelbehörde – davon auszugehen, dass es durch die Verschreibung von Pillen mit hohem Thrombose-Risiko statt jenem mit geringem jedes Jahr zu zwei bis sieben zusätzlichen Thrombosen pro 10.000 Nutzerinnen kommt. Das sind Krankheitsfälle mit zum Teil sehr schwerem Verlauf, die sich durch ein anderes Verschreibungsverhalten verhindern ließen“, erklärt Prof. Dr. Ulrike Haug, Letztautorin der Studie und Leiterin der Abteilung Klinische Epidemiologie am BIPS.

Das BIPS – Gesundheitsforschung im Dienste des Menschen

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Das BIPS ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft, zu der 97 selbstständige Forschungseinrichtungen gehören. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.000 Personen, darunter 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei mehr als 1,9 Milliarden Euro.

Originalpublikation

Schink T, Princk C, Braitmaier M, Haug U. Use of combined oral contraceptives and risk of venous thromboembolism in young women: A nested case-control analysis using German claims data. BJOG: An International Journal of Obstetrics & Gynaecology. 2022; (Epub 2022 Jul 25). https://doi.org/10.1111/1471-0528.17268

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