Kommentar zur Unstatistik des Monats Juli 2025
Bezüglich der Kommunikation absoluter und relativer Risiken greift die Unstatistik eine wichtige Diskussion auf, die seit vielen Jahren in den Informationsmaterialien berücksichtigt ist. Es ist korrekt, dass absolute und relative Risiken unterschiedlich interpretiert werden müssen und komplementäre Informationen enthalten. So fokussiert das relative Risiko bzw. die relative Risikoreduktion auf den Vergleich von Gruppen, während das absolute Risiko bzw. die Risikodifferenz veranschaulicht, wie häufig das Zielereignis in beiden Gruppen überhaupt vorkommt. In dieser Evaluationsstudie konnten aus methodischen Gründen nur relative Risiken bzw. relative Risikoreduktionen valide und unverzerrt berechnet werden – das sind die berichteten 20-30% Prozent Mortalitätsreduktion. Wir stimmen zu, dass diese direkt aus den Studiendaten ermittelten relativen Risiken im Sinne der informierten Aufklärung im Weiteren in absolute Risiken bzw. Risikodifferenzen für die betreffende Bevölkerung übersetzt werden müssen. Dies wird, wie in der Unstatistik erwähnt, in den Einladungsmaterialien zum Mammographie-Screening-Programm (MSP) bereits umgesetzt. Die in der Studie ermittelten relativen Risiken entsprechen in ihrer Effektgröße weitgehend denen, die diesen Materialien zugrunde liegen - und übrigens auch der in der Unstatistik selbst gezeigten Abbildung (relative Risikoreduktion von 5 auf 4 pro 1000 Frauen). Beide Informationen sind also konsistent zueinander. Die Kommunikation des relativen Risikos hat im Falle der Studie nichts mit einem „statistischen Trick“ oder einer „systematische Irreführung“ zu tun, sondern unterstreicht die Intention der Studie, valide zu untersuchen, ob der Nutzen des Screenings unter den heutigen Bedingungen immer noch so gegeben ist wie in den Studien aus den 1970er- und 1980er-Jahren.
Bei näherer Betrachtung des Textes der Unstatistik zeigt sich, dass der überwiegende Teil der Kritikpunkte auf grundsätzliche Debatten eingeht, die über den spezifischen Kontext unserer Studie hinausreichen. Dies betrifft beispielsweise auch den Kritikpunkt der 'fehlenden Nutzen-Risiko-Bewertung'. Die Evaluationsstudie hatte den Auftrag zu untersuchen, ob das Mammographie-Screening-Programm unter den heutigen Bedingungen weiterhin mit einem Nutzen verbunden ist. Dieser Frage nachzugehen war wichtig, da die bisherigen Empfehlungen zum Mammographie-Screening-Programm sich auf Nutzeninformationen aus Studien aus den 1970er- und 1980er-Jahren stützten (hierauf basieren übrigens auch die in der Abbildung der Unstatistik gezeigten Zahlen). Seitdem haben sich sowohl die Therapiemöglichkeiten von Brustkrebs als auch die diagnostischen Verfahren deutlich verbessert. Ob unter diesen Rahmenbedingungen weiterhin ein bedeutsamer Nutzen der Früherkennung besteht, war somit unklar. Dass dieser mögliche Nutzen gegenüber negativen Auswirkungen eines Screenings (Strahlenexposition, falsch-positive Befunde, Überdiagnosen und -therapien) im Sinne einer Nutzen-Risiko-Bewertung abgewogen werden muss, steht außer Frage und wurde seitens des Forschungskonsortiums (u.a. Präsentation Abschlussveranstaltung Berlin, Seite 37; Abschlussbericht der Studie, Kapitel 8.6.5 Nutzen-Risiko-Abwägungen, beides frei verfügbar auf den Seiten des Bundesamts für Strahlenschutz) immer wieder transparent kommuniziert. Die Ergebnisse der vorgelegten Evaluationsstudie zeigen, dass weiterhin ein Nutzen besteht und dieser auch in der Gegenwart aktueller therapeutischer und diagnostischer Fortschritte in einer Größenordnung liegt, die sich in den früheren Studien gezeigt hatte. Damit ist unter der Annahme unveränderter Risiken zu erwarten, dass auch die Nutzen-Risiko-Bewertung, die Voraussetzung für die Einführung des Programms in Deutschland war, weiterhin ihre Gültigkeit behält. Die entsprechenden Nutzen-Risiko-Bewertungen werden in Deutschland durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) und das Institut für die Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) durchgeführt und kommuniziert.
Der letzte Kritikpunkt der Unstatistik des Monats Juli 2025 betrifft die „Lebenserwartung und Gesamtkrebssterblichkeit“. Dieser Kritikpunkt ist losgelöst von den aktuell berichteten Studienergebnissen und soll daher im Folgenden nur kurz diskutiert werden. In der Unstatistik werden unter anderem zwei Publikationen genannt, die einen fehlenden Effekt des Mammographie-Screening-Programms auf die Lebenserwartung bzw. die Gesamtkrebssterblichkeit belegen sollen. Diese Publikationen berichten aber selbst keine eigenen Ergebnisse, sondern basieren auf Annahmen bzw. Modellierungen mit Verzerrungspotential und werden ihrerseits kritisch in der Literatur diskutiert. Sie liefern keine „Belege“ dafür, dass keine Effekte bestehen. Es ist unstrittig, dass der Einfluss eines Screening-Programms auf die Lebenserwartung bzw. Gesamtsterblichkeit oder Gesamtkrebssterblichkeit empirisch kaum zu sichern ist, da – bei ca. 19.000 Brustkrebstodesfällen gegenüber 519.000 Todesfällen und 106.000 Krebstodesfällen bei Frauen pro Jahr – hierfür Studien mit unrealistisch großen Fallzahlen benötigt werden. Dies bedeutet aber nicht, dass hier kein Einfluss besteht („absence of evidence“ ist nicht „evidence of absence“).
Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass mit den Ergebnissen der Evaluation der Brustkrebsmortalität im deutschen Mammographie-Screening-Programm die Ergebnisse einer Studie vorgestellt wurden, die valide eine 20-30%ige relative Reduktion des Sterberisikos durch Brustkrebs zeigte und somit die älteren Studien zum Nutzen, die bisher Grundlage des deutschen Mammographie-Screening-Programms waren, bestätigte. Selbstverständlich müssen die Ergebnisse dieser Studie - wie im Bericht der Studienergebnisse wiederholt dargelegt - in eine unabhängige Nutzen-Risiko-Bewertung einfließen.
Autor:innen: Ulrike Haug, Heike Minnerup, André Karch & Hans-Werner Hense