Online-Tool zur Unterstützung von Kinderärzten bei der Einschätzung des Risikos eines Metabolischen Syndroms bei Kindern im Alter von 3-10 Jahren

Hintergrund

Um durch eine medizinische Untersuchung den Gesundheits- und Ernährungszustand eines Kindes im Hinblick auf das Vorliegen eines Metabolischen Syndroms (MetS) möglichst fundiert beurteilen zu können, ist die Messung verschiedener metabolischer Marker und anthropometrischer Merkmale notwendig. Zur anschließenden Einschätzung der Untersuchungsergebnisse gibt es zwar für Erwachsene, nicht jedoch für Kinder, etablierte Grenz- und Referenzwerte, an denen sich der Arzt bei seiner Diagnose orientieren kann. Drei häufig bei Kindern verwendete Definitionen wurden von Cook et al. (1), Viner et al. (2) und der International Diabetes Federation  (IDF) (3) vorgeschlagen. Jede basiert auf der Beurteilung folgender vier Komponenten und Hauptrisikofaktoren des Metabolischen Syndroms: (1) Adipositas, (2) Bluthochdruck, (3) Lipide (schlechte Blutfettwerte) und (4) erhöhte Glucose-/Insulinwerte: Sobald drei oder gar vier der oben genannten Risikofaktoren vorgegebene Grenzwerte überschreiten, wird von einem Metabolischen Syndrom gesprochen. Allerdings gibt es zum Teil deutliche Differenzen bei der Festsetzung dieser Grenzwerte (Cut-offs), wodurch es sowohl zu Unterschieden bei der Gewichtung der betrachteten Risikofaktoren als auch bei Erstellen der Diagnose kommt. Nachfolgende Abbildung veranschaulicht dies am Beispiel der Daten aus der IDEFICS-Studie. Werden die drei oben genannten Definitionen, mit ihren jeweiligen Grenzwerten für Adipositas, Blutdruck, Lipide bzw. Glucose/Insulin  auf die IDEFICS-Kohorte angewandt, so zeigt sich z.B., dass insbesondere bei den Definitionen von Cook et al. und Viner et al. nur sehr wenige Kinder die vorgegebenen Grenzwerte für Glucose bzw. Insulin überschreiten, wodurch dieser Komponente nahezu keine Relevanz bei der Definition des Metabolischen Syndroms beigemessen wird. Dasselbe gilt für den Einfluss erhöhter Blutdruckwerte bei der IDF-Definition: Aufgrund relativ hoch gewählter Cut-offs werden hier nur sehr wenige Kinder als auffällig klassifiziert, wodurch Bluthochdruck bei der IDF-Definition des Metabolischen Syndroms einen nur geringen Einfluss hat. Bei allen drei Definitionen ist zudem das Überschreiten der Lipid-Grenzwerte am wahrscheinlichsten.

Basierend auf den Daten der IDEFICS-Studie (4), einer multizentrischen europäischen Stichprobe von Kindern im Alter von 2-10,9 Jahren, wurde 2014 ein Referenzsystem hergeleitet (5), welches folgende Anforderungen erfüllen sollte:

  1. Jeder der oben genannten Hauptrisikofaktoren wird bei der Diagnose des Metabolischen Syndroms gleichrangig behandelt (derzeit gibt es keinen klaren Hinweis darauf, ob eine oder mehrere dieser Komponenten einen stärkeren Einfluss hätten als die anderen).
  2. Für die Festlegung der Grenzwerte werden nur geschlechts- und altersspezifische Cut-offs verwendet (da die betrachteten Variablen zur Charakterisierung der Risikofaktoren einem starken Einfluss von Geschlecht und Alter unterworfen sind).

In der IDEFICS-Studie verwendete Messmethoden / Ausschlusskriterien

Um Perzentilkurven für normalgewichtige Kinder herzuleiten, mussten bei einigen, mit dem Körpergewicht assoziierten Markern, Einschränkungen hinsichtlich des Gewichtsstatus vorgenommen werden. Tabelle 1 zeigt die im Online-Tool  verwendeten Variablen mit den bei der Herleitung der Perzentilkurven verwendeten Ausschlusskriterien, sowie die verwendeten Messverfahren.
 

Zwei Definitionen (Monitoring Level und Action Level) des Metabolischen Syndroms – basierend auf Perzentilen der IDEFICS-Studie

Mit Hilfe eines neu entwickelten statistischen Ansatzes, der GAMLSS-Methode (6), wurden geschlechts- und altersspezifische Perzentile für Variablen hergeleitet, mit denen in der alltäglichen Praxis häufig die oben genannten wichtigsten kardiovaskulären Risikofaktoren charakterisiert werden. Darauf basierend schlagen wir vor, die Entwicklung eines Kindes aufmerksam zu verfolgen (‘Monitoring level‘) bzw. geeignete pädiatrische Interventionen einzuleiten (‘Action level‘), wenn bei mindestens drei der Risikofaktoren die betrachteten Variablen das 90% bzw. das 95%-Perzentil überschreiten.

Tabelle 1 zeigt die vier Komponenten des Metabolischen Syndroms sowie die gewählten Cut-offs zur Einstufung in die Kategorien ‘Monitoring level’ und ‘Action level’ für die Variablen Bauchumfang, Blutdruck, Triglyceride, HDL-Cholesterin, HOMA-Index und Nüchternglucose.

Werden diese beiden, auf alters- und geschlechtsspezifischen Perzentilen basierenden Definitionen auf die Daten der IDEFICS-Studie angewandt, so zeigt sich, dass der Beitrag der 4 Komponenten deutlich gleichmäßiger ist, als bei den  drei oben genannten Definitionen  von Cook et al. (1), Viner et al. (2) oder der International Diabetes Federation  (IDF) (3). Dass bei den einzelnen Komponenten nicht genau 10% (Monitoring Level), bzw. 5% (Action Level) oberhalb der jeweiligen 90%- bzw. 95%-Perzentile liegen, lässt sich einerseits dadurch erklären, dass innerhalb einer Komponente Oder-Verknüpfungen (z.B. SBP≥90% oder DBP≥90%) möglich sind und anderseits dadurch, dass die Perzentile in der Regel für normalgewichtige Kinder hergeleitet wurden (siehe: In der IDEFICS-Studie verwendete Messmethoden / Ausschlusskriterien), bei der Berechnung der Anteile, die das 90%- bzw. 95%-Perzentil überschreiten, aber alle Kinder (einschließlich der übergewichtigen und adipösen Kinder) berücksichtigt wurden.

Darüber hinaus lässt sich mit Hilfe einer Z-Score-Standardisierung ein kontinuierlicher Score berechnen (IDEFICS MetS-Score), der die vier Komponenten des Metabolischen Syndroms miteinander kombiniert. Dieser additive Score ist definiert als die Summe der geschlechts- und altersspezifischen Z-Scores von Bauchumfang (waist circumference, WC) , HOMA-Index, dem Mittelwert der Z-Scores des diastolischen (DBP) und systolischen (SBP) Blutdrucks und dem Mittelwert der Z-scores für Triglyceride und HDL (letzterer multipliziert mit -1, um der inversen Beziehung zwischen HDL-Cholesterin und koronaren Herzerkrankungen Rechnung zu tragen).
 

Referenzen

  1. Cook S, Weitzman M, Auinger P, Nguyen M, Dietz WH. Prevalence of a metabolic syndrome phenotype in adolescents: findings from the third National Health and Nutrition Examination Survey, 1988-1994. Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine. 2003;157(8):821-7.
  2. Viner RM, Segal TY, Lichtarowicz-Krynska E, Hindmarsh P. Prevalence of the insulin resistance syndrome in obesity. Archives of Disease in Childhood. 2005;90(1):10-4.
  3. Zimmet P, Alberti KG, Kaufman F, Tajima N, Silink M, Arslanian S, et al. The metabolic syndrome in children and adolescents - an IDF consensus report. Pediatric Diabetes. 2007;8(5):299-306.
  4. Ahrens W, Bammann K, Siani A, Buchecker K, De Henauw S, Iacoviello L, et al. The IDEFICS cohort: design, characteristics and participation in the baseline survey. International Journal of Obesity. 2011;35 Suppl 1:S3-15.
  5. Ahrens W, Moreno LA, Marild S, Molnar D, Siani A, De Henauw S, et al. Metabolic syndrome in young children: definitions and results of the IDEFICS study. International Journal of Obesity. 2014;38 Suppl 2:S4-14.
  6. Rigby RA, Stasinopoulos DM. Generalized additive models for location, scale and shape. Journal of the Royal Statistical Society: Series C (Applied Statistics). 2005;54(3):507-54.